SOS Brutalismus: Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum

VON ANGELA SABO / FOTOS: GÖTZ SCHNEIDER

 

Besonders beliebt sind brutalistische Bauten nicht. Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt zeigt erstmals brutalistische Architektur der 50er bis 70er Jahre im weltweiten Überblick.

Deshalb Brutalismus …

Brutalismus kommt vom französischen Wort brut für „direkt, roh, ehrlich, herb“. Ab etwa 1950 spricht man von Brutalismus als Architekturstil, der sich bis in die 1980er Jahre verbreitete. Eigentlich wollten die Vertreter dieser Bauart eine neue kraftvolle und ethische Architektur schaffen. Konstruktion, Materialien und Bauelemente wurden ungeschönt und offen sichtbar eingesetzt. Rohe, ehrliche Gebäude.

 

Der erste Eindruck der Ausstellung …

Materialorientiert, rustikal und zugleich detailreich, sinnlich erlebbar. Eine lange Galerie kleiner Betonmodelle auf weissen Sockeln. Fotos auf packpapierartigem Untergrund auf grossen Stegplatten. Dazwischen aufwändige Architektur-Modelle aus Pappe, teilweise mannshoch. Begleitend zur Ausstellung liefert der Katalog eine umfangreiche Bestandsaufnahme brutalistischer Bauten aller Kontinente, reich bebildert mit Fotos, Skizzen, Grundrissen. Ein dickes Werk im schweren bedruckten Leineneinband, wie aus einer anderen Zeit.

Hintergründe …

Die «rohen, ehrlichen» Bauten wurden schnell als «brutal» wahrgnommen. Beliebt sind sie jedenfalls nicht. Und inzwischen zudem in die Jahre gekommen. Stärker als gedacht ist Beton anfällig für äussere Einflüsse und Zerfall. Viele Gebäude befinden sich in einer kritischen Phase, wirken ungepflegt, müssen renoviert oder haustechnisch modernisiert werden. Häufig droht der Abriss. Hier setzt die Ausstellung an und rückt die Architektur der Sechziger- und Siebzigerjahre auch in den Fokus der Denkmalpflege. Mit dem Aufruf „SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster!“ machen das Deutsche Architekturmuseum und die Wüstenroth Foundation auf die weltweite Zerstörung und Vernachlässigung brutalistischer Architektur aufmerksam.

 

Warum sich ein Besuch auf jeden Fall lohnt …

Wegen der Architekturmodelle, die in der TU Kaiserslautern extra für die Ausstellung angefertigt wurden. In den  Beton-Modellen zeigt sich der «ehrliche» Werkstoff in seinen Grundeigenschaften als zähe, giessbare Masse mit seiner spezifischen Struktur, Haptik und Farbe besonders deutlich. Entstanden sind Interpretionen der Bauten. Beim Betonmodell des Wohnhauses „Toblerone“ (Belgrad/Serbien) beispielsweise wurden nur die Grundformen nachempfunden. In der Abstraktion erinnert nichts mehr an ein bewohnbares Gebäude. Vielmehr entsteht ein eigenständiges Gebilde übereinandergesetzter Sterne.

 

Was in Erinnerung bleibt …

Ein veränderter Blick auf die «Betonmonster». Immer wieder wandern die Augen zwischen den Betonmodellen und den darüber angebrachten Fotos der Originalgebäude hin und her. Sie erscheinen plötzlich wie Skulpturen, Objekte. Grafisch, kalt und doch irgendwie ästhetisch, extrem fotogen. Die Eintragungen im Gästebuch reichen von „grauenhaft“ und „da möchte keiner drin leben“ bis zu Statements wie „grandios“ und „erhaltenswert!“. Bemerkenswert auch: Die ungeliebte, grobe Architektur gibt es weltweit. Zu sehen sind Gebäude u.a. aus Japan, Brasilien, dem ehemaligen Jugoslawien, Israel, Grossbritannien. Brutalistische Gebäude faszinieren, polarisieren. Vielleicht sind sie einfach Skulpturen ihrer Zeit. Im Einzelfall kommt es darauf an, was man aus ihnen macht.

Ausstellung: SOS BRUTALISMUS. Rettet die Betonmonster! 9. November 2017 bis 2. April 2018, Deutsches Architekturmuseum Frankfurt a.M., Schaumainkai 43, www.dam-online.de, www.SOSBrutalism.org