Kein Wetter für Schnickschnack. So geht Wellblech-Architektur auf Island
VON GÖTZ SCHNEIDER
Als 2016 ein Wellblech-Haus des Berliner Büros Werk A Architektur den ersten Preis des DAM als bestes Einfamilienhaus gewann, habe ich ehrlich gesagt erst einmal den Kopf geschüttelt. Mit Wellblech verbinde ich Gewerbegebiete, Industrie oder ähnliches. Aber ein Wohnhaus?
Gerade die puristische Umsetzung hatte die Jury überzeugt. Ein durchgestaltetes Architekten-Haus. Aber ohne überdimensionierte Ansprüche. Dafür klug aufgeteilte 145 Quadratmeter auf einem schmalen Restgrundstück. Konsequent und effizient ausgestattet mit preiswerten Materialien. Für Dach und Fassade zum Beispiel Wellblech.
Genau das habe ich diesen Sommer auf einer Island-Reise ganz neu kennen- und schätzen gelernt.
Auf Island gibt es wenig Architektur. Sehr wenig.
Denn Islands architektonische Geschichte ist kurz. Erst seit 800 Jahren leben Menschen auf der Insel. Seit 100 Jahren errichten sie dauerhafte Gebäude. Architektur, wie wir sie definieren – grösser und weiter gedacht als ein solides Haus zum sicheren Wohnen – existiert dort noch nicht lange.
Im 9. Jahrhundert erreichten die Wikinger die Westküste der Insel. Sie trafen auf Vulkangestein, Erde und Gras und gründeten ihre erste Siedlung, genannt Reykjavík. Sie bauten mobile Häuser aus Torf und Treibholz, die im rauhen Klima nicht lange hielten. Andere Baumaterialien gab es auf der schroffen Insel nicht.
Aus Skandinavien wurden ab 1600 vorgefertigte Holzhäuser importiert und zum Schutz der Fassaden schwarz geteert. Später schiffte man zunehmend die repräsentativen Holzhäuser norwegischer Fischer ein. Das Holz der Fassaden wurde jedoch bald durch Stahlwellblech ersetzt.
Manchmal ändert sich der Blick auf Architektur-Details um 180 Grad.
Wellblechfassaden prägen bis heute auch das Stadtbild von Reykjavík, das sich erst in den vergangenen Jahrzehnten zur lebendigen Kleinstadt entwickelte. Ehemals private Häuser wandeln sich langsam zu öffentlichen Räumen mit Cafés und Geschäften. Dazwischen schlichte Badelandschaften mit den traditionellen „hot pots“. In jedem noch so kleinen Ort der Insel sind sie zu finden.
Die bewohnten Küstengebiete machen dabei nur den kleinsten Teil Islands aus. Vor allem gibt es Natur. 60% der Insel sind unbewohntes Hochland und Steinwüste, 11% mit Gletschern bedeckt.
Neben heissen Quellen, Fjorden, Wasserfällen, zahlreichen Binnenseen und den berühmten Nordlichtern steht Island für richtig rauhes Wetter. Wind, Regen, Schnee – nur immer ein Stück heftiger. Auf meiner Reise im Hochsommer lagen die Temperaturen bei 4 bis 14 Grad. Der Himmel blieb meist bedeckt. Typisch Island. Für ein Foto mit Sonnenlicht braucht man wirklich Geduld.
Ohne robustes Fassaden-Material müsste man wieder und wieder sanieren.
Deshalb gehört Wellblech einfach zu Island. Es ist simpel und effizient, ein zuverlässiger Schutz für die Häuser. Häufig sind schöne Holzfenster in die Blechfassaden eingebaut und dick – sehr dick – mit Farbe lackiert. Sie bilden einen interessanten Gegensatz zum schroffen Metall.
Seit Island sehe ich das Material Wellblech mit anderen Augen. Vor allem die mutigen Farben haben mich fasziniert. In Deutschland kaum denkbar. Auf Island stehen die kleinen freundlichen Häuser wie bunte Bonbons mitten in der weiten Landschaft oder reiht sich Farbe an Farbe in Reykjavík.
Wo der Himmel oft grau ist, signalisiert die farbenfrohe Architektur den Menschen Licht und Wärme. Und die Gebäude erhalten gerade durch den Materialmix und die besondere Farbgebung ihre Identität.
Das Betrachten der Bilder macht mich sogar jetzt noch fröhlich.